Vor 30 Jahren erschien in der Zeitschrift Geo ein heftig diskutierter und kritischer Beitrag über die Gemeinde
Als Weyhe zum schlechten Beispiel wurde
von Hauke Gruhn - 28.07.2011
Weyhe. Für große Aufregung sorgte im Jahr 1981 ein 24-seitiger Beitrag in der bundesweit erscheinenden Zeitschrift Geo. Ausgerechnet Weyhe hatte sich die Redaktion ausgesucht, um den Zerfall alter dörflicher Strukturen zu dokumentieren. Stellvertretend für andere Kommunen, versteht sich, daher die Überschrift "Zum Beispiel Weyhe". Die Reaktionen damals waren äußerst gemischt, wie Gemeindearchivar Wilfried Meyer zu berichten weiß. Er selbst hatte an dem Beitrag, für den die Recherchen über mehrere Jahre gingen, mitgewirkt.
Der Redakteur Rolf Bökemeier verfasste den Text, der es in sich hatte; Meyer steuerte die historischen Fotos hinzu. Und die zeigten, wie sich Weyhe vor Jahrzehnten noch präsentierte. Zur Zusammenarbeit kam es laut Meyer wohl vor allem, weil er bereits damals eine umfangreiche Sammlung an historischen Fotos angelegt hat te - unter anderem für eine Serie im WESER-KURIER mit dem Titel "Weyhe gestern und heute". Bökemeier, der inzwischen 70 ist und am Hamburger Stadtrand lebt, erinnert sich noch an einen anderen Grund: "Unser damaliger Chefredakteur Rolf Winter hatte ein Faible für Polizisten. Und weil Wilfried Meyer einer war, stand eigentlich schnell fest, dass es Weyhe wird." So also kam die Gemeinde bundesweit ins Gerede.
"Es ist jetzt eine ganze Generation her, aber gerade viele Ältere erinnern sich noch genau daran", sagt Meyer. "In dem Beitrag ging es vor allem um verlorene Identität. Viele Straßenzüge in Weyhe waren damals - fast unbemerkt - plötzlich weg." Alte Häuser hätten keinen Wert mehr gehabt, es sei nur noch um die Grundstücke gegangen. "Und so ist es ja im Grunde immer noch", beklagt Meyer. Weyhe habe mittlerweile die höchste Einwohnerdichte im Landkreis. "Mit Landleben hat das nicht mehr viel zu tun. "Gar als Etikettenschwindel sieht er Bauschilder mit der Aufschrift "Stadtvillen im Grünen" an. Das sei ein "klarer Fall von Dichtung und Wahrheit", so Meyer. “Wir (sind) keine Stadt, es sind keine Villen und es ist nicht im Grünen. "Dennoch, das erkennt der Gemeindearchivar an, habe sich in Weyhe vieles zum Guten entwickelt. Der Marktplatz mit seinem Umfeld sei zum Beispiel gelungen. Und er ist überzeugt: "Einige Entwicklungen dürften auch auf den Artikel zurückzuführen sein.
"Bereits im Jahr 1978 sei die Redaktion erstmals an ihn herangetreten, erzählt Meyer."Damals war ein Volontär zur Vorrecherche auf Deutschlandtour." Drei Jahre später sei dann der Beitrag erschienen. Das Hauptfoto dafür entstand im Jahr 1979, als der Meineke-Hof in Kirchweyhe abgerissen wurde. "Das war mein Nachbarhof, auf dem Bild sind auch unser Sohn und unsere Tochter als Statisten zu erkennen", erzählt Meyer. Für dieses Foto sei damals extra der Fotograf Andrej Reiser aus Wien angereist. Die restlichen aktuellen Fotos machte später Walter Mayr.
1980 fragte die Redaktion des Magazins nach einer Funkpause wieder bei Wilfried Meyer, ob er nicht einen Diavortrag in Hamburg zum Thema halten könne. So kam die Gemeinde in die engere Wahl - und der Chefredakteur sagte schließlich zu. "Er wollte eigentlich auch, dass ich die Geschichte schreibe", erzählt Meyer. "Aber das wollte ich nicht. Ich habe dann gesagt: ,Danke für die Blumen, aber das soll lieber ein Außenstehender machen, der einen anderen Blick auf die Gemeinde hat als ein Insider."' Und so kam Rolf Bökemeier ins Spiel. "Wir waren immer knapp an deutschen Themen, Weyhe war erst das zweite damals", erinnert er sich.
Von seiner Rundreise und seinem längeren Rechercheaufenthalt vor Ort waren Bökemeier und sein Team aber eher negativ überrascht. "Wir fanden vieles potthässlich. Der Volksgeschmack war damals auf unterstem Niveau." Womit er vor allem auf die Zweckbauten aus den 1960er- und 1970er-Jahren anspielt, die alte Bauern- und Fachwerkhäuser verdrängten. "Die sahen fürchterlich aus." Man habe die Geschichte dann aufgezogen wie eine Kriminalgeschichte, verrät Bökemeier. "Mit dem Resultat, dass keiner schuldig und doch alle Täter sind.
Der Beitrag in der Geo habe damals bei einer Auflage von 500.000 Exemplaren rund drei Millionen Menschen erreicht, rechnet Bökemeier vor. "Und wir haben anschließend waschkörbeweise Leserbriefe erhalten." Auch in der Redaktion des WESER-KURIER in Brinkum gingen viele Leserreaktionen ein. Redakteur Robert Schumann hatte von der Sache nämlich frühzeitig Wind bekommen, sich einen Vorabdruck aus Hamburg besorgt und einen ausführlichen Artikel unter der Überschrift ",Legoland' fraß sich ins einst intakte Dorf"verfasst. Darin wird insbesondere der damalige vermeintliche (oder tatsächliche) Klüngel zwischen Weyher Politik und Bauwirtschaft ins Visier genommen.
Die Rolle des "Bösen" hatte im Geo-Beitrag der Bauunternehmer Walter Böttcher inne, wie sich Rolf Bökemeier erinnert. "Das war aber auch schon angemessen", findet er. Böttchers Bauten kamen durch die Bank schlecht weg. Doch die Bewohner fühlten sich offenbar trotzdem wohl in "Böttchers Legoland", wie es im Geo-Artikel heißt. Stiller Held in Bökemeiers Geschichte war der Landwirt Julius Meyer. "Bi mi kommt neumodscher Kram ut Glasbausteen un Plastik nich op'n Hof", wird der Weyher zitiert. Er stand für das gute alte Landleben, Böttcher für das Gegenteil.
Autor Rolf Bökemeier war nach 1981 nie wieder in Weyhe. Er hat nicht mitbekommen, wie sich das Areal rund um den Kirchweyher Marktplatz entwickelt hat. Auch nicht, dass die Bahnschranke den Straßenverkehr nicht mehr "170~mal am Tag" zum Erliegen bringt. "Da hat Weyhe wohl einen Sprung gemacht", kommentiert der Ruheständler. "Vielleicht fahren meine Frau und ich auf die alten Tage doch noch mal vorbei. Das Schreiben der Geschichte war damals eine Herausforderung, aber es hat Spaß gemacht." Und vielleicht kann er seine frühere Redaktion ja zu einer weiteren Weyhe-Reportage überreden. Die dürfte dann wohl zumindest etwas positiver ausfallen.