Geschichtsgruppe K. Hahn/W. Polley/P. Athmann
Im 19. Jahrhundert herrscht viel Verkehr in den Bremer Häfen und Kontoren. Laut dem Buch "Das Königreich Hannover statistisch beschrieben" 8 gehen zum
Beispiel von Bremen im Jahr 1832 über 5200 Fuhrwerke ab.
Die Fahrten werden von den Bremer Kaufleuten ausgeschrieben. Da in Bremen die Ladung über Spediteure (sog. Güterbestedern) verteilt wird, und nicht mehr direkt vom Kaufmann an den Fuhrmann
beaufttragt, wird eine bessere Auslastung der Fuhrwerke erreicht. Durch die Vielzahl von Frachtfahrern und die flexible Zuordnung von Aufträgen ist es dem Einzelnen auch möglich, nebenher noch
seine Landwirtschaft zu versorgen.
"Die zur Fuhre zu versendenden Güter werden gewöhnlich von den Kaufleuten dem Güter-Bestäter zur Besorgung übertragen, es sey
denn (wie es wohl nach Franckfurt a/M man[n]i[g]mahl der fall ist) daß die Kaufleute selbst einen bekandten hiesigen oder Leester Fuhrmann annehmen, mit dem sie lieber als mit einem Fremden den
Versant bewürken." 9
Die Fahrten sind meistens in fester Hand. Die Leester und die Brinkumer sind für die Fahrten nach Süddeutschland vorgesehen, während andere Regionen von anderen Fahrern bedient werden. Da bleiben
natürlich auch Konkurrenzkämpfe unter den Güterbestedern nicht aus:
"So z.B. sind die fremden Fuhrleute, welche nach Oldenburg & Ostfriesland, nach Quackenbrück & Kloppenburg, nach Bückeburg & Minden fahren, bis jetzt fast ganz allein im Besitz dieser
Frachtfahrt, sie beladen sich hier auf mitgebrachte Briefe und Anweisungen, und kein hiesiger, Brinkumer und Leester hat (seltene Fälle ausgenommen) noch dazwischen treten können."10
Da es immer wieder zu Streitigkeiten und Beschwerden unter den Fuhrleuten kommt, werden 1818 und 1819 durch den Bremer Senat Verordnungen erlassen, die den Fuhrleuten vorschreiben, dass sie sich, sobald sie wieder bereit sind für eine nächste Frachtfahrt, den Bestedern vor Ort zur Verfügung halten müssen. Das hätte zur Konsequenz gehabt, dass auch die Leester und Brinkumer – wie andere auswärtige Frachtfahrer – sich in Bremens Gasthäusern hätten aufhalten müssen. 11 Die Leester und Brinkumer Fuhrmannschaft legt dagegen jedoch geschlossen Protest ein.12 Sie wenden ein, dass die Fuhrleute sich zuhause besser auf die nächsten Fahrten vorbereiten können, indem sie ihre Pferde und Ausrüstung pflegen
Durch die Verordnung verlören sie ihren
„Heimvorteil“ gegenüber den Thüringern. Wenn sie in auswärtigen Städten auf eine neue Fracht warten müssten, hätten die dortigen Frachtfahrer ja ebenfalls diesen Heimvorteil. Sie machen auch
deutlich, dass den heimischen Kaufleuten in Leeste ein Schaden entstünde, wenn die Fuhrleute in Bremen ihren Hafer kaufen müssten. Und auch die hiesigen Schmiede, Sattler und Radmacher „würden
[sie] nicht in Nahrung setzen“.
Die Petition wird von 69 Frachtfahrern unterzeichnet, in der Mehrheit Leester.
1821 wird daraufhin vom Senat eine neue Verordnung erlassen:13 Darin heißt es: „Jeder hieselbst oder in der Nachbarschaft wohnende Fuhrmann darf sich nicht
eher bei dem Güterbesteder einschreiben lassen, als bis er den Wagen und die Pferde, womit er die Reise zu machen beabsichtigt, zu Hause hat und ist verbunden, dieselben nach der Einschreibung
bis dahin, da die Reihe und Laden ihn trifft, zu Hause zu halten,“ Wer gegen
diese Regeln dreimal verstößt, wird für immer aus der Liste der Frachtfahrer gestrichen.
Dennoch bleibt es im Grunde dabei: Die Frachtfahrer aus Leeste und Brinkum müssen sich bei den einzelnen Bestedtern bewerben. Wenn der Fhrmann von seiner Reise zurückgekehrt ist, muss er sich
beim Bestedter für eine neue Fahrt einschreiben lassen, sobald er Pferde, Fuhrwerk und sich selbst in reisefertiger Verfassung hat. Bis er eine neue Fracht zugeteilt bekommt, muss er meistens
einige Tage warten. Man nennt dies „stapeln“. Um eine relle Chance zu haben, bei der nächsten Fahrt an die Reihe zu kommen, müssen sie aber weiterhin vor Ort sein. Das bedeutet, dass sie sich
fast ständig in Bremen aufhalten müssen und damit auch dann, wenn sie nicht auf Reisen sind, den heimatlichen Aufgaben ihrer eigenen Höfe entzogen sind. Das beklagt der Syker Amtmann
Albrecht in einem Bericht an die Landdrostei Hannover:
"Zu den mehreren Aemtern des Königreichs, in welchen das Frachtfahren vorzüglich in Gange ist, gehört auch das hiesige, in welchem sich insbesondere das große Dorf Leeste auszeichnet
[...]. Der Herr vielleicht mehrerer Gespanne und selbst nur eines Gespannes wandert oder reitet um die Zeit ihrer Heimkehr fast täglich zur Stadt [Bremen], um Ladung aufs neue zu erforschen, zu
erfahren und zu berechnen, wann etwa die Reihe ihn trifft, Frachtaccorde zu schließen oder das Frachtgeld in Empfang zu nehmen und Abrechnung mit den Kaufleuten oder Spediteuren zu ziehen. Er
kehrt nothwendig bey diesen häufigen Touren zur Stadt wenigstens in einem Gasthause, wo nicht in mehrere ein, um seine Nachrichten einzuziehen; es muß dabey etwas verzehrt werden, er will als in
Ansehen und Vermögen stehend gelten, keiner dem Anderen zurückstehen, es muß aufgetischt und getrunken werden; Bier und Branntewein ist etwas zu Gemeines, Rum muß es sein, wohl gar Wein; solche
Getränke werden ihm oft selbst bey den Kaufleuten vorgesetzt. Es gibt dabey schöne Gelegenheit, Caffee, Zucker wenigstens Weisbrodt mit zu Hause zu nehmen. Solch ein Wohlleben gefällt dem Bauern
wohl [...] Selbst die körperliche Ausbildung der Mannspersonenen der Frachtfahrer-Ortschaften leidet, wird ganz entartet und geschwächt. Schon der kaum 14 oder 15jährige Junge macht die Reise
mit, soll anlernen, hart werden im väterlichen Gewerbe, kann aber die Strapatzen nicht ertragen, sein Körper sich nicht ausbilden, lernt früh das Brannteweintrinken, bleibt klein und schwach.
Auch schon Erwachsene werden bey dieser Lebensart siech; gichtlich durch oftmalige rauhe Witterung und Erkältung. [...] erhalten Bruchschäden bey den zu hebenden Waarenlasten; werden von Pferden
geschlagen oder sonst verkrüppelt. Ganz auffallend viel bemerkt man solche Körperschwachheit und Gebrechen bey der Militair-Losung der jungen Mannschaft eines Frachtfahrer-Orts.
[...]14
Wenn dann ein Auftrag vergeben wird, verpflichtet sich der Fuhrmann durch dessen Annahme, innerhalb von 24 Stunden die Güter zu laden und die Reise anzutreten. Anfangs werden dann die Frachtgüter
von den Kaufleuten abgeholt und verladen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts werden mehr und mehr die Güter bei den Ausspannwirtschaften gesammelt und dort zur Reise verladen.
Eingabe der Leester Fuhrleute an den Bremer Senat aus dem Jahr 1821