Paul Athmann
Flussaufwärts mussten die Schiffe früher, als es noch keine Maschinen gab, gezogen werden: Das sogenannte Treideln erfolgte ab dem 9. Jahrhundert mit Menschenkraft und später mit Pferden.
Personen bzw. Zugtiere bewegten sich auf einem Weg ("Treidel-" oder "Leinpfad") am Ufer der Weser, der im Kirchspiel Weyhe bis 1865 auf der Dreyer Seite lag. Der Weg wurde in Dreye nach
Einführung des Treidelns mit Pferden auch "Pferdeweg" genannt.
(Zeichnung: Merian 1654)
Viele Weyher Tagelöhner verdienten sich beim Schiffsziehen ein Zubrot, insbesondere aus den Orten Leeste und Erichshof, wo es viele Häusler (meist Tagelöhner) gab. 1 Das Treideln brachte für die vielen Tagelöhner und Kötner aus Dreye, Kirchweyhe und Leeste/Erichshof einen kleinen Nebenverdienst, diente aber oft auch zum Lebensunterhalt.
Für 1812 schätzt ein Gutachter, dass in den wesernahen Kirchspielen Brinkum, Leeste, Weyhe und Riede 365 Familien Einkommen durch Schiffslinienzug realisieren.
Der Kirchweyher Häusler Heinrich Koch wurde 1792 vom Syker Oberamtmann Rumann zum „Schiffslinienzugvorsteher“ des Kirchspiels Weyhe bestellt, nachdem der vorherige „Annehmer“ verstorben
war. Die Annehmer vermittelten die Treidlerzüge an die Schiffer und waren für bestimmte Kirchspiele zuständig. Die auch „Baas“ oder „Capitain“ genannten Annehmer stellten die Mannschaften
zusammen und führten die Aufsicht über die Linienzieher während der Reise.
Heinrich Koch hatte schon seit 22 Jahren am Treideln teilgenommen. Nach seinen Aussagen im Jahr 1792 profitierten im Amt Syke etwa 200 Familien vom Treideln. Die meisten kamen aus Leeste,
Brinkum und Erichshof. Zwei Jahrzehnte später schätzte ein Gutachter, dass aus den Kirchspielen Leeste, Brinkum, Weyhe und Riede etwa 380 Familien Einnahmen aus dem Schiffslinienzug
realisierten. 2
Scherenschnitt: Treideln mit Menschenkraft 3
Von ca. 1620 bis 1814 ist von Bremen bis Stolzenau nur mit Leuten 'getreidelt' worden. Es bedurfte oft 5 bis 6 Dutzend Männer für schwere Lasten.4
Schiffstypen zum Treideln
Es gab 3 Schiffstypen zum Treideln: "Böcke" waren 34 bis 36 m lang, "Bullen" 22 - 25 m, und "Hinterhänge" dazwischen. Hinterhänge konnten 50-60 Tonnen (t) tragen, Böcke 56-64 t und "Bullen" 16-20
t. Zusammengesetzt ergaben sie eine "Mast", die bis zu 145 t Gesamtlast ausmachen konnte.
"Ein Bock ist 122 bis 124 Fuß lang, 16 Fuß breit, geht unbeladen 15 Zoll, halbbeladen 2 1/2 Fuß, voll beladen (mit 44 bis 45 Last) 3,7 bis 4 Fuß tief, wird mit 3
bis 4 Mann gefahren und kostet vollständig ausgerüstet etwa 1500 Rthlr. Ein Bulle, 110 Fuß lang und 12 bis 14 Fuß breit, geht unbeladen 12 Zoll, halb beladen 2 1/2 Fuß, voll beladen 5 1/2 Fuß
tief.“ 5
1999 wurden in Rohrsen (Lkr. Nienburg) zwei aneinander gekettete Weserkähne ausgegraben, die mit Sandsteinen beladen waren. Die beiden „Böcke“ sind 40 m und 30 m lang gewesen und wurden etwa 1750 gebaut. Sie sind heute im Museum Schloss Brake zu sehen. 6
In Dreye wurden Mastspitzen solcher Schiffe aus der Weser geborgen. Sie waren aus Eisen und mit hölzernen Kugeln und einer Roland-Figur versehen. 7
„Gelenkt wurden die Kähne mit einem bis zu 8,50 m langen Schwebruder, unter Zusatz einer bis zu 20 m langen Stake. Um die Schiffe besser auf Kurs halten zu können,
konnte bei der Talfahrt zusätzlich ein Segel aufgezogen werden. Die Schiffe waren mit Zelten abgedeckt, bestehend aus einem Holzlattengerüst und Leinenplanen. … Für die Talfahrt waren 9 bis
11 Schiffsleute notwendig, für die Bergfahrt 6 bis 8.“ 8
Ein mittleres Frachtschiff benötigte rund 40 Zieher oder 8 Pferde. Von Bremen nach Hann. Münden wurden mit Ziehern 30, mit Pferden 18 Tage gerechnet. 9
Treideln mit Pferden
Nach 1814 wird mit Pferden getreidelt. Bis dahin haben sich die Tagelöhner gegen alle Versuche gewehrt, die ihre Dienste überflüssig machen sollen: Sie „pfändeten“ gewaltsam die Pferde, oder sie
pachteten kleine Grundstücke an den Ufern und verwehrten den Pferdezügen den Zutritt.
Um 1830 wird das Treideln der Schiffe (von Bremen die Weser hinauf) nicht mehr mit Menschenkraft, sondern fast ausschließlich mit Pferden durchgeführt: Vor einen sog. "Bock" spannt man bis zu 10
Pferde. Ein Bock wird ein Schiff genannt, das 120 Fuß (ca 40 m) lang, 14-16 Fuß (ca. 5m) breit und 5 Fuß (1,5 m) hoch ist.
Schon 1798 geht das Militär im Preußischen gegen Widerständler vor, z.B. in Vossen bei Vlotho. Danach wird dort der Linienzug mit Pferden nicht mehr behindert.
Im Hannoverschen zögert die Regierung mit der Zulassung des Treidelns mit Pferden. Der 1814 beschlossene durchgängige Pferdezug bis Minden bringt aber vorerst nur die Erlaubnis, Pferde
einzusetzen, und ist keine allgemeine Verpflichtung zum Schiffslinienzug mit Pferden.
Nach dem Beschluss müssen sogenannte "Achtsmänner" darauf achten, dass die Pferde den "Leinpfad" nicht verlassen. Wenn dies doch geschieht, müssen die Achtsmänner den Schaden aufnehmen und
das "Pfandgeld" einziehen. Dazu wird im Juni 1814 ein „Ausschreiben“ herausgegeben, worin auf die im April erlassene Erlaubnis des Treidelns mit Pferden verwiesen wird, und es den
Ufer-Interessenten erneut untersagt wird, von den Treidlern Gebühren zu verlangen. Das Triftgeld werde von den Schiffern ausschließlich in Dreye hinterlegt. Die Achtsmänner sollen etwaige Schäden
melden. Die Schäden sollen dann aus den erhobenen Triftgeldern ausgeglichen werden.10
Darstellung des Trei-delns mit Pferden aus der Zeit um 1880
In Preußen gibt es spezielle Verkehrsregeln zum Treideln mit Pferden: Wenn sich zwei getreidelte Schiffe begegnen, haben die mit Pferden getreidelten Schiffe Vorrang (d.h. die Menschen müssen „die Leine werfen“). 11
In der Weser-Schifffahrtsakte von 1823 wird auch der Linienzug mit Pferden zwischen Hannover und Bremen geregelt:
1823, September 10., Minden
1. Weserschifffahrtsakte (Übereinkunft zwischen Hannover, Preußen, Kurhessen, Braunschweig, Oldenburg, Lippe und Bremen)
2. Konvention zwischen der Freien Hansestadt Bremen und Hannover über den Pferdevorspann beim Schiffslinienzug zwischen Bremen und
Stolzenau 12
Friedrich Rauers nennt für das Jahr 1815 die Anzahl der „Vorspänner“ im „Vorspannbezirk Bremen bis Hoya und Hudemühlen“: „bremische Vorspänner 14, davon 13 aus Arsten, 1 aus Habenhausen,
hannoversche Vorspänner 51, davon Bierde 17, aus Uphusen 16, aus Bollen 8, aus Mahndorf 10“. Er nennt keine Vorspänner aus Weyhe/Dreye oder Leeste/Erichshof. Offensichtlich halten die Treidler am
linken Weserufer am Linienzug mit Menschen fest. Sie stellen in der Überzahl die „Leinenzieher“, die im Jahre 1815 nach Rauers „200 Masten zu je 30 Leinenziehern“ durch Hoya ziehen. 13
1831 kommt es zu „Treidlerunruhen“ an der Weser: Die Häuslinge und Kötner, deren Nebenverdienst durch den Einsatz von Pferden bedroht ist, finden sich im April 1831 in Achim zusammen, um gegen
das Treideln mit Pferden zu protestieren. Sie spannen die Zugpferde einiger Schiffe aus und versuchen, die Schiffer zu zwingen, die Reise mit Hilfe des „Menschenvorspanns“ fortzusetzen.
Auch in Hoya versammeln sich die Treidler und nötigen die Pferdegespanne, ihnen den Linienzug zu überlassen. Es erscheint dort danach das Militär, um solchem Treiben „Einhalt zu gebieten“.
Auch in Dreye an der Korbinsel haben sich 200 Männer versammelt, um ebenfalls die Pferdegespanne zu stoppen. Hier nutzen die Schiffsführer aber den günstigen Wind, um an Dreye vorbei zu segeln.
Am 12. April erscheint auch in den Marschkirchspielen des Amtes Syke das Militär. Der Einsatz zeigt Wirkung: Der Amtmann Albrecht aus Syke sieht „etliche Gruppen von dannen ziehen“. Auch
eine 25-köpfige Gruppe von Männern aus Leeste hat sich von Achim übersetzen lassen, nachdem sie drei Tage vergeblich auf den Einsatz zum Linienzug gewartet haben. Später werden einige
„Rädelsführer“ im Gogericht Achim verhaftet und ins Gefängnis geworfen. 14
Verordnung, wegen des den Aller Leine, und Weser-Schiffern gestatteten Linienzugs mit Pferden, vom 28. April 1814. (M. s. a. Ausschreiben vom 8ten Juni 1814.) 15
"Da die dermalen so sehr gehäuften Waaren-Niederlagen in Bremen, so wie die große Anzahl der dort befindlichen Schiffe, die von Bremen nach Celle, Hannover,
Nienburg und Münden, in Ladung gelegt haben, […] es durchaus nöthig machen, […] zu gestatten, daß die, die Leine, Aller und Weser befahrenden Schiffer sich auf der vorbemerkten ganzen Route
von Bremen nach Celle, Hannover, Nienburg und Münden, […] des Linienzuges mit Pferden, die aber von den hiesigen Unterthanen, wenn sich solche zu deren Vermiethung verstehen wollen, genommen
werden müssen, gegen einen Schein des Zollamts Dreye, daß sie dort ein bestimmtes Triftgeld, das lediglich zur Ausgleichung der durch diesen Linienzug mit Pferden den Ufer-Interessenten etwa
verursachten Schäden und zur Verbesserung der Triften verwandt werden soll, bezahlt haben, zu bedienen, so wird solches hiermit zur Kenntniß gebracht.
[…] hat daher dahin zu sehen, daß dieser Linienzug auf gleiche Art und unter gleichen Vorsichtsmaaßregeln stattfinde, die früherhin in Rücksicht der
Militair- und KornTransporte vorgeschrieben sind, mithin ist den Schiffern auf den Strecken, wo bisher nur der Linienzug mit Menschen statt gefunden hat, auf Kosten der Schiffer ein Achtsmann
mitzugeben, der […] dafür Sorge zu tragen hat, daß den Schiffern kein unnöthiger Aufenthalt verursacht werde, […] aber auch darauf zu achten hat, daß von den Schiffern, ihren Leuten und den
Pferden an den Ufern und auf den Ländereien nicht unnöthiger Schaden angerichtet wird.[…]
Hannover, den 28ten April 1814. - Provisorische Regierungs-Commission.
Außer diesen […] Vorschriften wird Hinsichtlich des Schiffszugs an der obern Weser noch Folgendes verordnet:
"De Schiffer haben ihrerseits alles dazu beizutragen, daß die Besitzer der Bindereien an dem Weserufer zu keinen gegründeten Klagen Anlaß haben, und daß sonst kein
Schaden oder Unfug angerichtet werde. Ihnen liegt daher ob, gehörige Aufsicht auf die Mannschaft, die Pferdetreiber und die Pferde zu halten, indem sie zunächst allen Schadensersatz und die
angesetzte Strafe zu entrichten haben, mit Vorbehalt des Regresses an die Eigentümer der Vorspannpferde und an die Thäter. Die Schiffer sind verpflichtet, vor der Abfahrt die Achtsleute zur
Begleitung des Schiffszuges (es mögen Menschen oder Pferde dazu gebraucht werden) aufzufordern. Sie haben aber denselben für diese Begleitung in Zukunft nichts zu entrichten. Auch haben sie sich
am Zoll - Comptoir zu erkundigen, aus welchem Land sie die Zugpferde für dasmal zu nehmen haben. Sie müssen, um das Schleifen der Linien zu verhüten, dieselben vom Anfange an über einen
Kanalblock gehen lassen, auch jedesmal einen sogenannten Linienreeper anstellen. Die Schiffer dürfen bei zwei Thaler Strafe nicht zugeben, daß der Pferdezug den Weg über den Arster Kluftdamm an
der Korbinsel nehme, sondern es müssen die Pferde gleich von der Korbinsel nach dem blauen Werder übergesetzt werden. Da die Achtsleute darauf beeidigt sind, allen im Allgemeinen oder den
obigen Verboten zuwider von den Schiffen oder Schiffszügen angerichteten Schaden sofort gewissenhaft abzuschätzen, so haben die Schiffer das Taxat auf der Stelle zu erlegen. Weigern sie sich, so
soll zwar ihre Weiterfahrt nicht gehindert, es soll aber bei ihrer Rückkehr ihnen nicht gestattet werden, eine neue Ladung einzunehmen, bevor sie nicht das Taxat bezahlt haben. Indessen bleibt es
ihnen hiernächst vorbehalten, auf eine weitere Untersuchung bei dem Herrn Zollrichter anzutragen, und wenn sie nachzuweisen vermögen, daß sie zuviel bezahlt haben, das Zuvielbezahlte
zurückzufordern. Den Pferdetreibern wird bei Einem Thaler Strafe untersagt, den Herweg, oder wenn sie etwa unverrichteter Sache wieder abgehen müssen, den Rückweg über den Werder zu
nehmen.
[…] "
Beschlossen Bremen in der Versammlung des Senats am 14. und bekannt gemacht am 25. April 1824 16
Leinpfad
Der Leinpfad führte entlang der Weser, meist nur auf einer Seite. An einigen Stellen wechselte er das Ufer. In Dreye war der Pfad zunächst auf der südlichen Weserseite. Dort kam es aber immer
wieder zu Streitigkeiten mit den Anrainern. Um 1865 wurde der Pfad dann auf die nördliche Seite verlegt.
Auf einer Karte der Weser bei Dreye, die um 1870 gezeichnet wurde, ist der „Leinenpfad“ schon am nördlichen Weserufer eingezeichnet.
Zum Verlauf des Leinenpfades wird in der Geschichtswerkstatt Achim berichtet:
„Der Leinenpfad wechselte zwischen Bremen und Hann. Münden 26mal das Ufer. Sogenannte Überfälle gab es bei Dreye, Intschede, Hutbergen, Oister Ort, usw. In Bremen
durften die Pferde nur aus den Dörfern Habenhausen und Arsten bezogen werden. Von Dreye bis Hoya begleiteten Achtsmänner den Zug. Sie hatten darauf zu achten, dass die Treidelpferde nicht die
Wiesen betraten bzw. neben dem Pfad grasten. Die Leinen durften nicht schleifen, sondern mussten an Bord über einen Bock laufen. Um dies zu überwachen war ein Leinenreeper anzustellen. Ein
mittleres Frachtschiff benötigte rund 40 Zieher oder 8 Pferde. Von Bremen nach Hann. Münden wurden mit Ziehern 30, mit Pferden 18 Tage gerechnet. Zu Tal trieb das Schiff in der halben Zeit. Im
Raum Bremen-Hoya wurden 1818 14 bremische und 51 hannoversche Pferdehalter gezählt, von denen 1584 Vorspannpferde angefordert wurden. …“ 17
Im 18. Jahrhundert führt die Bildung der Korbinsel zur Beeinträchtigung des Linienzuges. 1816 klagen die Schiffer über die Behinderungen und drängen auf eine Führung des Leinenpfades über die
Sperrwerke des Altarms hinweg an der linken Seite des Hauptarmes. Da aber das Sperrwerk, das den Altarm vom Hauptstrom trennen soll, immer wieder bei Eisgang zerbricht, kommt es zu keiner
Verlandung an dieser Stelle, so dass man sich 1865 genötigt sieht, den Leinenpfad ans rechte Weserufer zu verlegen. 18
Dr. Ulrich Weidinger beleuchtet in seiner Betrachtung der bremischen Schifffahrtsgeschichte das Treideln beim Dorf Bollen und die Einführung des Pferdelinienzuges:
„In dem zwischen Bremen und Achim an der Weser gelegenen kleinen Dorf Bollen (ca. 10 km oberhalb Bremen) waren die durch Pferde stromaufwärts gezogenen Schiffe
verpflichtet, einen vereidigten Aufseher an Bord zu nehmen, der das Schiff auf der ersten Station bis zur Zollstelle Intschede (gegenüber Langwedel, ca. 10 km unterhalb Verden) begleitete, wo er
dann von einem anderen Aufseher abgelöst wurde. Diese sog. Achtsleute oder Eidgeschworenen hatten während der Fahrt darauf zu achten, daß alles mit rechten Dingen zuging und daß insbesondere die
für die Zugpferde geöffneten Befriedungen und Einzäunungen (sog. "Thorwege" oder "Hucks") jedesmal wieder ordnungsgemäß geschlossen wurden; eventuell von ihnen festgestellte Schäden waren dem
zuständigen Amt oder Gericht zu melden. Das Dorf Bollen mußte deshalb jederzeit eine genügend große Anzahl geeigneter ("welche sich dazu schicken") Achtsmänner bereitstellen. Da den bremischen
Binnenschiffern außerdem vorgeschrieben wurde, die für den Schiffszug benötigten Pferde "gegen billige Bezahlung" von den Einwohnern des Gerichts Achim entgegenzunehmen, bildete die
Treidelschifffahrt für viele Bewohner Bollens und der näheren Umgebung also eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle.
… [es] formierte sich […] im Kurfürstentum Hannover ein erbitterter Widerstand der Uferbesitzer und der Linienzieher gegen die beabsichtigte Durchsetzung des
Pferdelinienzugs. Allgemein verbreitet war vor allem die - illegale - Forderung eines willkürlich festgesetzten Lösegeldes. Von privaten Uferbesitzern, aber auch von ganzen Dorfschaften, ja
teilweise trotz fehlender gesetzlicher Grundlage sogar von Amtsleuten erhoben, verteuerte diese sog. "Pfändung" der Schiffer den Pferdezug derart, daß er sich häufig nicht mehr als rentabel
erwies und die Schiffer deshalb sich zunehmend wiederum der Linienzieher bedienten. So waren beispielsweise im Jahre 1748 innerhalb zweier Monate von den bremischen Schiffern allein in dem
kleinen Distrikt des hannoverschen Gerichts Achim 120 Taler an Lösegeldern zu zahlen.“ 19
„Ob mit menschlicher Muskelkraft oder Pferdestärke, die Eigentümer des Treidelpfades fühlten sich betroffen. Als die Interessen der Schiffer noch durch Gilden
wahrgenommen wurden, führte dies zu umständlichen Verhandlungen mit den Grundbesitzern, die sich häufig weigerten, wegen der Flurschäden den Pferdezug zuzulassen. Nach mehreren Anläufen kam es
1696 zu einer Konferenz der Weser-Uferstaaten in Hameln. Die Vorstellung durchgehender Treidelwege fand aber keinen Anklang. Zu verschieden waren die lokalen Interessen. In Hannover opponierten
die Ämter Hoya und Nienburg. 1746 widersetzte sich das Gohgericht Achim dem Ansinnen der Landesregierung einheitlich in Hannover den Pferdezug zu gestatten, indem es auf die Beschäftigung der
Häuslinge im Leinenzug hinwies.“ 20
Zu den durch Treideln angerichteten Schäden der Weser-Anrainer in Dreye gibt es einige Akten in den Archiven:
1828 müssen preußische Weserschiffer bei Dreye anlegen. Der Wiesenbesitzer verlangt für den angerichteten Schaden für jede "Mast" eine Entschädigung von 1/2 Friedrichsdor. 21
1838 beantragt die Witwe Schmidt (geb. Gause) die Herstellung eines Leinpfades „beim Gauseschen Hof zu Dreye“. 22 Zwischen 1842 und 1845 geht es um die
Instandsetzung dieses Pfades auf dem Grundstück der „Einwohnerin Schmidt“. 23
Schließlich wird 1862 der Pfad auf die andere Seite der Weser verlegt, nachdem die Schiffer einen zweiten Pfad auf der linken Weserseite, näher an der Weser, beantragt hatten, dessen Realisierung
aber als unmöglich angesehen wurde. 24 In der Stellungnahme des Syker Amtmanns wird die Notwendigkeit des Leinpfads auf der linken Weserseite zwischen Dreye
und Schlieme gleich mit infrage gestellt, da dieser in den letzten 10 Jahren kaum noch benutzt worden sei. Stattdessen sei am rechten Weserufer ein Weg befestigt worden, so dass der Leinpfad
nicht erst bei Schlieme die Weser seite wechselte, sondern schon bei Dreye.25 Die vorgeschlagene Aufhebung des Leinpfads auf der linken Weserseite
zwischen Dreye und Schlieme wird aber 1862 von der Wasserbau-Inspektion Hoya abgelehnt. 26
Bei Hochwasser ist oft das Treideln nicht möglich, da die Leinpfade ganz oder teilweise überflutet werden. Mit Einführung der Dampfschifffahrt verlieren die Treidler aus Dreye, Sudweyhe, Leeste
und Erichshof endgültig ihre Verdienstmöglichkeiten: Im Jahre 1856 wird ein letztes Mal weseraufwärts durch Menschenzug getreidelt. Vielen Treidlern bleibt im 19.Jahrhundert nur die
Auswanderung, um zu überleben – wenn sie nicht bei der Eisenbahn neue Verdienstmöglichkeiten finden.
Bald endet auch der Linienzug mit Pferden: Der Leinenpfad wird ab 1894 nicht mehr unterhalten. 27
1 Vgl. NLA HA Hann 83 III Nr. 454: Bericht des Superintendenten Meyer über die "Pfarre zu Leeste" , 1798
2 Vgl. Hermann Greve, Unterschichten im Amt Syke – 1500 bis 1800. Eine Skize; mit Verweis auf die Quellen NLA HA Hann 74 Syke Nr. 630 und NLA HA Hann 80 Hann 1A Nr. 1936 In: Materialien zur Alltagsgeschichte, Hausforschung und Kultur im Landkreis Diepholz und benachbarten Regionen. Band 1; 2008; S.54
3 aus Ausstellung „Weser“ 2012 im Haus der Wissenschaft in Bremen
4 vgl. F.W.Franzmeyer, R.Kauffeld: Kleine Geschichte der Personen- und Frachtschiffahrt a uf der Ober- und Mittelweser in Wort und Bild – Eine Mindener Perspektive, Books on Demand, 2013, S.13
5 (Reden, Das Königreich Hannover statistisch beschrieben, Bd. 2, 1839)
6 Vgl. Schloss Brake: „Im Fluss - Bergung, Konservierung und Präsentation der historischen Weserschiffe“, Hrsg. Vera Lüpges. Die Modelle waren 2012 im Haus der Wissenschaft in Bremen ausgestellt.
7 Ausstellung „Weser“ 2012 im Haus der Wissenschaft in Bremen
8 Ausstellung „Weser“ 2012 im Haus der Wissenschaft in Bremen
9 Vgl. http://www.geschichtswerkstatt-achim.de/gwa_x_1_0/6_weser.htm
10 Ausschreiben betr. den den Aller-,Weser- und Leine-Schiffern gestatteten Linienzug mit Pferden, vom 8ten Junii 1814. In: Th. Hagemann, Sammlung der hannoverschen Landesverordnungen und Ausschreiben, 1814, Nr. 313:
11 vgl. Th. Brandt, Handbuch der Preußischen Gesetz-Sammlung von 1806 bis einschließlich 1845 S.377: Schiffahrts Polizei-Ordnung für die Residenz- und Handelstadt Königsberg v. 14.3.1822 , 1846
12 NLA HA Hann 10 Nr. 26
13 (Rauers, 1913) S.62 Anm. 6
14 vgl. H.Greve, Aufstand an der Weser – Die Treidlerunruhen des Jahres 1831 in: (Aschenbeck & Stock, 1998) S.34ff
15 Sammlung der Hannöverschen Landesverordnungen und Ausschreiben. 1813-1814
16 Sammlung der Verordnungen und Proclame des Senats der freien Hansestadt Bremen, Henrich Meier, 1824
17 www.geschichtswerkstatt-achim.de/gwa_x_1_0/6_weser.htm
18 (Preuß. Wasserausschuss, 1901) S.329
19 Dr. Ulrich Weidinger , "Die bremischen Bürger, so sich der Schiffahrt auf dem Allerstrom gebrauchen." Bremer Schiffahrt auf Weser und Aller in der Frühen Neuzeit.- www-user.uni-bremen.de/~bremhist/bremSchiffahrt.html
20 www.geschichtswerkstatt-achim.de/gwa_x_1_0/6_weser.htm
21 (Schacht, 1960) S. 219
22 NLA HA Hann 80 Nr. 12448: Gesuch der Witwe Schmidt in Verden wegen Herstellung des Leinpfads beim Gauseschen Hofe in Dreye
23NLA HA Han, Hann 95 Nr. 664 Die Instandsetzung einer Beschädigung des Linienpfades an dem Grundstück der Einwohnerin Schmidt bei Dreye, 1842-1845
24 NLA HA Han, Hann 95 Nr. 692: Die Verlegung des Leinpfades unterhalb Dreye bis zur Korbinsel auf das rechte Weserufer, 1859 – 1862
25 StA Stade Rep. 80 Nr. 03738 Verlegung des Leinpfades im Amt Achim unterhalb Dreye bis zur Korbinsel auf das rechte Weserufer: Bericht des Amtes Syke / Schreiben Amt Syke ( Wangenheim) 10.4.1862 an Königl. Landdrostei zu Stade
26 StA Stade Rep. 80 Nr. 03738 Verlegung des Leinpfades im Amt Achim unterhalb Dreye bis zur Korbinsel auf das rechte Weserufer: Stellungnahme Wasserbau-Inspektion Hoya F.Plener 9.8.1862
27 (Preuß. Wasserausschuss, 1901) S. 329