Paul Athmann
Das Herstellen und Brennen der Ziegel war eine Handwerkskunst, die vorrangig von Lippischen Wanderarbeitern beherrscht wurde. Sie kamen in der Saison vom Frühjahr bis zum Herbst nach
Norddeutschland und Holland. Nachdem die Textilindustrie (Leinengewerbe) mit der Erfindung der Spinnmaschine und des mechanischen Webstuhles im Niedergang befindlich war, musste die Bevölkerung
im Gebiet um Detmold neue Arbeitsmöglichkeiten suchen. Da passte es gut, dass in Holland und Norddeutschland die Ziegelbauweise in Mode kam und immer mehr Ziegeleien gebaut wurden. Diese
brauchten Arbeitskräfte, die das Ziegel-Handwerk verstanden und bereit waren, in der kurzen Saison das Maximale an Arbeitszeit einzusetzen.
Im Internetportal „Westfälische Geschichte“ wird festgestellt: „Die Bedeutung der lippischen Ziegler läßt sich daran ermessen, dass 1897 in den 12.500 gemeldeten Betrieben der
Ziegelei-Berufsgenossenschaft in Deutschland etwa 277.000 Arbeiter tätig sind, darunter allein rund 13.000 lippische Ziegler und rund 900 lippische Meister. Noch um 1910 arbeiten rund 30 Prozent
der lippischen Männer saisonal als Wanderziegler in der Fremde.“ 287
„Die Zahl der lippischen Ziegler wuchs von 288 Männern im Jahr 1790 auf 7.786 im Jahr 1860. In den 1880er und 1890er Jahren gab es 12.000 lippische Ziegler, das Maximum von etwa 14.000 wurde um
1900 erreicht. Nach dem Ersten Weltkrieg sank die Zahl stark ab auf etwa 5.000.“ 288
Das Lipper Land lag im Westfälischen, also vor Gründung des Deutschen Reichs (1871) im Ausland. Zwar gab es schon 1840 Bestrebungen im Königreich Hannover, durch Prämien die Anstellung
inländischer Ziegler zu fördern 289, doch blieb dies ohne Erfolg.
Mit der aufkommenden Dampftechnik wurden die Ansprüche an den Zieglerberuf höher. Jetzt reichte es nicht mehr nur, das richtige Mischen, Trocknen und Brennen der Ziegel zu beherrschen: Die
Bedienung von Dampf-Maschinen kam hinzu, und die Funktion des Ringofens wollte verstanden sein. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden spezielle Zieglerschulen eingerichtet. Nach der bereits 1897 in
Lemgo gegründeten Zieglerschule entstand 1906 in Lage eine weitere Ausbildungsstätte.
Die Ziegler waren gewerkschaftlich lange Zeit nicht organisiert. Die Arbeitszeiten lagen im Sommer bei bis zu 16 Stunden am Tag. Erst 1895 wird der „Gewerkverein der Ziegler in Lippe“
gegründet. Er hatte zum Ziel, die Arbeitsbedingungen der Ziegler zu verbessern und die Länge der täglichen Arbeitszeit zu verkürzen sowie die Akkord-Sätze zu normalisieren. Der Verein
gewährte seinen Mitgliedern Rechtsschutz und vermittelte juristischen Rat. Er verfolgte alle Beschwerden bezüglich schlechter Wohnverhältnisse, Steuerfragen, Lohnvorenthaltungen usw.
290
Vor dem ersten Weltkrieg war dann eine Arbeitszeit von 12 Stunden pro Tag gebräuchlich. 291 Noch in den 1950er Jahren fuhr die Ziegelei Wehrmann im 12 Stunden Schichtbetrieb. 292
Nach den Unterlagen im Gemeindearchiv Weyhe von der Leester Ziegelei betrug der Tageslohn für einen jugendlichen Ziegler im Jahre 1900 gerade mal 2,28 Mark. Für erwachsene Arbeiter
betrug der Verdienst im selben Jahre nicht mehr als 4 Mark täglich. Der Lohn der erwachsenen Ziegler hing von der Leistung der gesamten Zieglermannschaft ab, da im Akkord gearbeitet wurde. Im
Jahre 1899 wurden an „baar verdienten Löhnen“ 13.169 Mark ausgezahlt. 293 Nimmt man die Zahl der Ziegler (20) für dieses Jahr, entfallen weniger als
660 Mark auf jeden Ziegler – für einen Zeitraum von ca. 6 Monaten (insgesamt 3572 Arbeitstage). Dabei ist nicht auszuschließen, dass in der Summe auch das Gehalt des Meisters enthalten war.
Außerdem wurden in dem Jahr 300 Mark einbehalten wegen der „freien Schlafstellen und der Naturalien“.
Auf der Ziegelei Wehrmann wurden 1891 für 1000 Steine an Lohn 9 Mark ausgezahlt, für 1000 Pfannen 18 Mark. 294
Besondere Lohnverhältnisse herrschten direkt nach dem 2.Weltkrieg: Die Ziegelei Oetjen bietet in Ahausen im Jahr 1948 direkt nach der Wiederöffnung an, dort zu einem Stundenlohn von 0,76 RM
(Tarif) zu arbeiten (inklusive eines warmen Mittagessens). Der restliche Lohn wird als Prämie in Ziegelsteinen ausgezahlt – für „Arbeitswillige, die diese Möglichkeit an Baumaterial zu kommen,
ausnutzen wollen“, wie der Gemeindedirektor von Sudweyhe, Flemming, schreibt. 295
1898 wurden Bestimmungen zum Schutz von jugendlichen Arbeitern erlassen. 1903 wird in einem Erlass geregelt, dass Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter keine Rohmaterialien transportieren dürfen und nicht am Brennofen arbeiten dürfen.296 Auf den Ziegeleien gab es aber immer wieder Verstöße gegen die gesetzlich geregelten Arbeitszeiten, insbesondere bei jugendlichen Arbeitern. So wird Heinrich Wehrmann 1902 zu Geldstrafen verurteilt, weil er die Jugendlichen Hundertmark und Pape mehr als 13 Stunden hatte arbeiten lassen. August Wehrmann von der Leester Ziegelei erhielt 1903 eine Geldstrafe von 10 Mark, weil der jugendliche Arbeiter Rettig mehr als 10 Stunden am Sonntag hatte arbeiten müssen.
1913 kam es in der Ziegelei Brüggemann in Wagenfeld zu einem Arbeiter-Streik, in dem ein früherer Arbeitsschluss um 19 Uhr (statt 20 Uhr) gefordert wurde. Obwohl die streikenden Arbeiter entlassen wurden, hatten sie zum Vorteil ihrer neu eingestellten Kollegen doch den früheren Arbeitsschluss erreicht. 297 Inwieweit dieses auch Einfluss auf die Arbeitszeiten in den Weyher Ziegeleien hatte, ist nicht bekannt. Jedenfalls war der Eigentümer der Wagenfelder Ziegelei 1941 freundschaftlich verbunden mit der Wehrmann‘schen Ziegelei in Weyhe, die zu dieser Zeit beide Mitglieder der Ziegeleivereinigung waren, der auch die Ahauser Ziegelei Oetjen angehörte. Dies geht aus einem erhaltenen Brief Brüggemanns an Wehrmann hervor. 298
Dass die Arbeit auf den Ziegeleien auch von Unfällen begleitet war, zeigt eine Notiz aus der Syker Zeitung vom 27.5.1913, in der von einem Blitzschlag berichtet wird, der einen Ziegeleiarbeiter auf offenem Feld in Dreye traf.
Als weitere Unfälle sind dokumentiert:
Wohnverhältnisse auf den Weyher Ziegeleien
Das Leben der Lippischen Arbeiter auf einer Ziegelei an der Elbe um 1870 wird eindrucksvoll im historischen Roman "Simon, der Ziegler" von Elke Loewe beschrieben. Er ist 2004 im Rowohlt-Verlag
erschienen. Sie lebten als sog. „Lippische Commune“ auf der Ziegelei, wo für die Arbeiter meist Unterkünfte vorhanden waren. Dort wurden sie von einem „Zieglerkoch“ versorgt, der mit zur
Zieglergemeinschaft gehörte. Das Essen bestand anfangs zumeist aus „Erbsen, Bohnen, Kartoffeln und Speck“. 299 Später wurde es dann vielfältiger.
Genaue Angaben über die Wohnverhältnisse der Weyher Ziegeleien fehlen. Aus den Inventarlisten und den noch erhaltenen Gebäuden kann man aber einige Rückschlüsse ziehen:
In der Inventarliste der Ziegelei Oetjen waren für die Unterkunft der Arbeiter folgende Gegenstände aufgeführt:
1 Tisch, 1 Bank, 1 kl. Schrank, 3 Stühle, 1 eiserner Ofen
1 Milchschrank, 2 Tische, 2 Bettstellen, 6 Stühle,
1 Plätteisen, 1 Kinderwagen, 2 Bienenstöcke mit 18 Körben
Aus einem Schreiben der Gemeinde Sudweyhe aus dem Jahr 1948 wird deutlich, dass im Wohnhaus unten 6 Räume existierten. Dort sollten 1948 ca. 9 Personen zusammen mit den „schon vorhandenen
Arbeitskräften“ „lagermäßig“ untergebracht werden. 300
In den 1960er Jahren wohnen Gastarbeiter aus Italien in dem Haus, in der oberen Etage, die durch eine Außentreppe zugänglich war. Im unteren Bereich waren Büroräume für die Ziegelei eingerichtet.
Nach der Übergabe an die Fa. Heinemann wird auch das Büro- und Wohnhaus auf Fotos festgehalten. Der Anbau sieht dabei eher unbewohnt aus. Im eigent-lichen Wohn- und Bürohaus scheint im Dach kein Fenster zu sein. Dort waren wohl die Gastarbeiter untergebracht. Das angebaute Toiletten-häuschen dürfte ein „Plums-klo“ gewesen sein.
Heinemann lässt das Haus umbauen mit einem Dachausbau und neuen Fenstern. Das Toilet-tenhäuschen wird abgerissen.
Das Foto aus den 1990er Jahren zeigt das Haupthaus mit dem Anbau (vorne links) und dem ange-legten Garten, auf der der Ziegelei zugewandten Seite.
Das Arbeiter-Wohnhaus (zuletzt Büro) der Ziegelei Oetjen im Jahre 2012, vom Parkplatz aus fotografiert.
Auf Fotos mit Zieglern der Ziegelei Oetjen um 1910 sind zwischen 15 und 19 Personen abgebildet. Einer von ihnen wird für das Kochen zuständig gewesen sein. Meistens werden auch ein „Schifferklavier“, ein Bierfass und mehrere Bierflaschen gezeigt – was wohl das Unterhaltungsprogramm nach Feierabend andeuten mag. Wobei der Feierabend während der Woche bei 12 -16 Stunden Arbeitszeit sehr kurz gewesen sein dürfte.
Auch nach dem 2. Weltkrieg, in den 1960er Jahren, wird das Arbeiterhaus noch für die Gastarbeiter aus Italien verwendet, die auf der Ahauser Ziegelei (jetzt Volckmann) eingesetzt werden. Ihre Arbeitszeit beträgt weiterhin 6 Tage in der Woche (Montag bis Sonnabendnachmittag). Sonntags müssen sie sich selbst verpflegen, an den anderen Tagen bekommen sie das Essen von der Firma. Ein Schlachter versorgt sie jeden Sonnabend mit Fleisch. Auch ein Bäcker fährt regelmäßig auf die Ziegelei. Einen Liter Milch gibt es als „Staubzulage“ vom Arbeitgeber. Die italienischen Zutaten (Spaghetti, Tomatenmark, Zwiebeln etc.) für den „Sonntagsschmaus“ holen sie aus dem LebensmittelEinzelhandel in Sudweyhe. 301
Auf den anderen Weyher Ziegeleien wird es ähnlich ausgesehen haben:
Auf der Inselziegelei an der Alten Weser gab es ebenfalls ein Wohnhaus, das nach dem 2. Weltkrieg (bis 1952) von der Familie Stegemann bewohnt war. Wie im Antrag auf die Errichtung eines Ringofens deutlich wird, handelt es sich dabei um das Haus des Ziegeleimeisters. Das Wohnhaus wird auch in der Planskizze des Antrags dargestellt.
Laut den Anmeldelisten der Gemeinde Kirchweyhe waren bis zu 17 Ziegler auf der Ziegelei beschäftigt, im Jahr 1912 sogar 29 Arbeiter. Wie viele davon auf der Ziegelei wohnten, ist nicht vermerkt. Ob die Ziegler zumindest teilweise mit im Wohnhaus des Ziegeleimeisters untergebracht waren, ist ebenfalls nicht überliefert.
In dem Bildausschnitt eines Fotos aus dem Jahre 1935 erkennt man mehrere Häuser an der Insel-Ziegelei-
Auf der Ziegelei Dörgeloh / Wehrmann wohnten die meisten Arbeiter in unmittelbarer Nähe der Ziegelei. Auf dem Luftbild von 1945 sind 2 Häuser direkt gegenüber der Ziegelei, an der anderen Seite der Rieder Straße festgehalten.
Heinrich Wehrmann jun. wohnte mit seiner Familie an der Rieder Str. 11, gegenüber der Ziegelei, wie auch später seine Tochter Gesine und ihr Mann Hermann Meier, zusammen mit ihren Kindern
HansHeinrich und Hanneliese. Es ist vermutlich eines der beiden Häuser auf dem Luftfoto von 1945. In diesem Haus war auch das Büro der Ziegelei bis in die 1970er Jahre eingerichtet. Danach wurde
dann ein Büro auf der Ziegelei gebaut.
Ob in diesem Haus auch mal die lippischen Ziegler untergebracht waren, konnte bisher nicht ermittelt werden.
Hans Heinrich Meier baute ein neues Haus neben der Ziegelei. Gesine Meier lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 2016 in dem Haus Nr. 11. Dann wurde es verkauft und umgebaut, um Flüchtlinge dort
unterzubringen.
Das Privathaus Rieder Str. Nr.11 der Familie Wehrmann, später Meier. Im Anbau rechts waren früher Ställe, zuletzt Pferdeställe, bevor es Garagen wurden. [Foto 1950er Jahre – aus dem Besitz von Elisabeth Daneke. 305 Das Arbeiter-Wohnhaus der Ziegelei Leeste war zweistöckig und 9x11m groß. Laut Baubeschreibung waren im Erdgeschoss und im 1. Stock Zimmern für die Arbeiter eingerichtet, darunter ein „Krankenzimmer“ im Erdgeschoss. Auch Küche und Esszimmer sind erwähnt. Von der Innenausstattung gibt es leider keine Überlieferung. Die bis zu 23 Ziegler, die auf der Ziegelei arbeiteten, sind aber vermutlich nicht alle im Arbeiterwohnhaus untergebracht worden.
Das Leester Arbeiterwohnhaus im Jahr 1943 (Repro: Hahn/Ratjen/Riehn, 2009)
Herkunft der Ziegler auf Weyher Ziegeleien
In einer in den Niederlanden aufgebauten Datenbank werden die Aufzeichnungen der Ziegeleien und der Wanderarbeiter in Norddeutschland und Holland erfasst. Damit werden weitere Auswertungen
möglich, etwa über die Todesursachen der Ziegler. Es wurde festgestellt, dass zwar viele durch Unfälle oder Gewalteinwirkung umgekommen sind, dass aber die meisten Unfälle nicht auf der Ziegelei
passierten, sondern im Privatleben, z.B. beim Baden in den örtlichen Gewässern.
Die Aufzeichnungen basieren auch auf den Berichten der sog. Ziegelboten. Diese waren von den Ziegelarbeitern unterstützte „Agenten“, die den Bedarf der Ziegeleien für die jeweilige Saison
ermittelten und entsprechend die Lippischen Arbeiter vermittelten bzw. die Verträge mit den Ziegeleibesitzern aushandelten. Sie wurden ab 1842 durch die „Bekanntmachung, die Ernennung von
Ziegelboten und deren Instruction betreffend“ zur Abgabe von jährlichen Berichten verpflichtet. 95) Später, nach dem „Gesetz über die gewerblichen Verhältnisse der Ziegelarbeiter und
Ziegelagenten“ von 1851, mussten die Boten ihre Ausgaben verantworten, um behördliche Unterstützung für die von ihnen eingerichteten Sterbekassen zu erhalten. 306
Die Vermittlung der Lipper erfolgte zumeist in vollständigen Arbeitstrupps, die oft aus demselben Ort stammten. Diese waren aufeinander eingespielt und deckten die unterschiedlichen
ArbeitsSpezialisierungen ab: Der Meister gab die Arbeit vor und führte die Aufsicht, der „Streicher“ füllte die Ziegel-Formen. Die „Umgänger“ (auch „Butenleute“) gruben den Ton, der „Einspetter“
schaufelte ihn in die Mühle und beaufsichtigte das „Traden“ durch die Pferde. Der „Karrenmann“ karrte ihn zur Werkstätte. Hier reichte der „Aufstecher“ die für einen Stein nötige Menge dem
„Steinemacher“ („Streicher“ oder „Former“). Der „Holtensetter“ setzte die Lehmziegel auf Trockengestelle. Der „Ofenschieber“ brachte die getrockneten Ziegel in den Ofen zum Brennen. Der
„Ofensetzer“ schichtete die Steine im Ofen kunstvoll auf. Nach dem Brand karrte der „Ausschieber“ die fertigen Ziegel zum Stapelplatz. Diese Personen bildeten zusammen einen „Pflug“. 307
Im Fall der Weyher Ziegeleien wurden die Verträge auch direkt über die Ziegeleimeister vermittelt. Sie brachten ihre Bekannten aus dem Lipperland mit oder warben dort neue Ziegler an. 308 Als Beispiel können die Eintragungen im Register der Klassensteuer-Zugänge der Gemeinde Weyhe dienen: Als Zugang werden im Jahr 1869 für die Ziegelei Dörgeloh der Ziegeleimeister C. Hagemeister mit 10 Ziegeleiarbeitern aufgeführt, für die Ziegelei Esdohr der Meister F.Hasselmann mit 12 Arbeitern, und für die Ziegelei Oetjen der Meister H.Schneider mit 6 Arbeitern. 309
Unterlagen über die Wander-Ziegler sind auch in den Einwohnermeldeämtern der Gemeinden vorhanden: Jeder auswärtige Arbeiter musste ja im Ort angemeldet werden.
Die Syker Zeitung vergleicht im April 1897 die Ziegler mit den Sommervögeln: Wie diese zögen auch die Ziegler jedes Jahr im April in den Norden und bauten dort ihr „Nest“, um dann im Herbst
wieder nach Süden zu ziehen. 310
Nach 1900 tauchen in den Melderegistern auch immer mehr Ziegler aus Polen (insbesondere aus dem Kreis Konitz und aus dem polnischen Galizien) und aus Russland auf. Dies ist im Zusammenhang mit
der Ausländer-Politik der preußischen Regierung für polnische Arbeiter zu sehen: Um die Einwanderung zu verhindern, und gleichzeitig die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften für die Industrie
und die Landwirtschaft zu befriedigen, wurde die Saisonarbeit gestattet – außerhalb der sog. Karenzzeit vom 15.11. bis 1.4. 311
Außerdem suchen ab der Jahrhundertwende auch einige Einheimische Arbeit bei den Ziegeleien, insbesondere nach dem 1. Weltkrieg und auch später nach dem 2. Weltkrieg.
Ab 1955 werden auch „Gastarbeiter“ aus Italien vermittelt. Sie wohnen ebenfalls auf den Ziegeleien. Zu diesem Zeitpunkt produzieren in Weyhe aber nur noch die beiden Ziegeleien Wehrmann und
Volckmann (ehemals Oetjen).
Mit den Aufzeichnungen der Ziegler-Datenbank lassen sich auch die Aufenthalte der einzelnen Arbeiter bei anderen Ziegeleien 312 verfolgen.
Auf den folgenden Seiten werden die Ziegeleiarbeiter der einzelnen Ziegeleien gelistet. Die Angaben stammen teilweise aus den Berichten der Ziegeleiboten (d.h. aus der Datenbank), größtenteils aber aus den An- und Abmelderegistern der Gemeinden Leeste, Sudweyhe und Kirchweyhe. Da die handschriftlichen Eintragungen nicht immer gut lesbar sind, können Übertragungsfehler nicht ausgeschlossen werden. Oft tauchen Namen in unterschiedlicher Schreibweise auf, die man dann aber vielfach unter Verwendung des Geburtsdatums oder Geburtsorts zuordnen kann.
Bei den Eintragungen der Melderegister sind zumeist die Berufsbezeichnung „Ziegler“ bzw. „Ziegelmeister“ angegeben, oder „Ziegeleiarbeiter“ - manchmal auch nur „Arbeiter“. Die Angaben sind
hier verkürzt wiedergegeben auf die Merkmale „Name, Geburtsdatum, Geburtsort“ und/oder „bisheriger Wohnort“ sowie die Jahre der Tätigkeit auf der Ziegelei.
Abkürzungen: ZM = Ziegeleimeister
Auswärtige Ziegeleiarbeiter, die in der Ziegelei Esdohr/Löhr zwischen 1869 und 1914 tätig waren: 315
Auswärtige Ziegeleiarbeiter, die in der Leester Ziegelei zwischen 1898 und 1914 tätig waren: 316
Lippische Ziegeleiarbeiter, die 1861 - 1866 bei der Ziegelei Dörgeloh & Ahrens tätig waren: 317
Auswärtige Ziegeleiarbeiter, die bei Dörgeloh /Wehrmann zwischen 1869 und 1927 tätig waren: 318
Lippische Ziegeleiarbeiter, die zwischen 1854 und 1868 bei der Ziegelei Oetjen in Ahausen tätig waren: 320
Auswärtige Ziegeleiarbeiter, die in der Ziegelei Oetjen in Ahausen zwischen 1869 und 1927 tätig waren 321
Auswärtige Ziegeleiarbeiter, die in der Ziegelei Heinrich Ahrens bzw. Segelke Ahrens in Dreye zwischen 1891 und 1912 tätig waren: 324
Auswärtige Ziegeleiarbeiter, die in der Ziegelei Segelke Ahrens in Dreye zwischen 1913 und 1914 tätig waren 325
Lippische Ziegeleiarbeiter, die zwischen 1839 und 1856 bei Claus Köster (Küster) tätig waren: 314
Auswärtige Ziegeleiarbeiter, die in der Ziegelei Meyer & Ahrens (Inselziegelei) in Dreye zwischen 1913 und 1914 tätig waren 327
Migration von Wander-Zieglern nach Weyhe
Einige der Wanderarbeiter aus dem Lipper Land blieben in Weyhe oder in der näheren Umgebung. Auch die Gastarbeiter fanden in den 1960er Jahren oft eine neue Heimat in Weyhe.
Die Ziegeleimeister Heinrich und August Wehrmann waren Cousins und nahmen bedeutende Positionen in der Weyher Ziegelei-Landschaft ein: Heinrich Wehrmann pachtete ab 1885 die Ziegelei von
Dörgeloh/Ahrens und kaufte sie später. Er war seit 1891 mit Marie Wolters aus Verden verheiratet. Ihre 5 Kinder kamen in Sudweyhe zur Welt und gründeten – bis auf den jüngsten Sohn Wilhelm - auch
in Sudweyhe, Leeste und Lahausen ihre Familien. Der Sohn Heinrich übernahm die Ziegelei und wohnte in Sudweyhe Nr. 25b. Er war mit Gesine Bischof aus Sudweyhe verheiratet. Ihre Tochter Gesine
Sophie Marie Bischof heiratete Hermann Meier aus Bremen, der die Ziegelei nach Heinrichs Tod weiter führte. Deren Sohn Hans-Heinrich Meier war bis 2015 Besitzer der Wehrmann‘schen Ziegelei.
August Wehrmann (*30. 11.1860) leitete die Leester Genossenschaftsziegelei. Er wohnte ab 1898 auf der Leester Ziegelei und war mit Luise Uhlenbrock verheiratet.
Die Schwester von Heinrich Wehrmann jun., Luise, heiratete 1908 den Leester Schlachter Albert Schierenbeck und baute mit ihm die Leester Schlachterei Schierenbeck auf.
Unter den Leester Zieglern werden auch noch weitere Wehrmanns erwähnt: Heinrich Wehrmann ( *16. 6.1887 in Nalhof), Wilhelm Wehrmann (*11.8.1882 in Nalhof), Fritz Wehrmann (*8.12.1870 in
Asmissen ), Fritz Wehrmann (*13.2.1892 in Nalhof) , Heinrich Wehrmann (*2.6.1872 in Asmissen) und Ernst Wehrmann (*21.4.1885 in Nalhof) .
Ziegelmeister Stellbrink arbeitete bei der Ziegelei Oetjen und war 1909 auch im Ahauser Schützenverein. Gebürtig stammte Stellbrink aus Schötmar. Zeitweise arbeiteten drei Mitglieder der Familie Stellbrink auf der Ahauser Ziegelei. Insgesamt werden für die Ahauser Ziegelei 8 Ziegler mit dem Namen Stellbrink gelistet. Nur einer ist Ziegelmeister: Ludwig Stellbrink, (*14.10.1857). Er ist in den Jahren 1909 bis 1916 auf der Ziegelei tätig.. Der Ziegeleimeister Ferdinand Stellbrink (*6.10.1893) wird in der Personenstandsliste 1922 ff der Gemeinde Sudweyhe aufgeführt. Schon im Abmelderegister von 1914 ist statt eines Abgangsdatums vermerkt: „eingetreten“. 1936 ist er im Adressbuch von Ahausen mit der Wohnung Nr. 3c vermerkt – also wohl auf dem Hof Oetjen (Nr. 3) oder in einem Haus, das Oetjen gehörte.
Bemerkung: Im Adressbuch der Stadt Schötmar von 1907 sind der Ziegler Karl Stellbrink (Langestraße 67) und der Ziegelmeister Luis Stellbrink (Neue Straße 101) verzeichnet.
Vom Ziegelarbeiter Wilhelm Kampmeyer (*10.9.1901) sind einige Fotos von der Ziegelei erhalten. Er stammte aus Uchtdorf im Lippischen und blieb in Sudweyhe, nachdem er dort Marie Eggers (*1904) kennengelernt hatte. Sie heirateten in den 1920er Jahren. Die Fotos zeigen Wilhelm Kampmeyer im Kreis seiner Kollegen (2.v.r) auf der Ziegelei Wehrmann (1950er Jahre) bzw. bei der Arbeit auf der Ziegelei. Er arbeitet bis ca. 1970 als Brenner am Ofen – im Schichtbetrieb bis zu 12 Stunden. „Wenn Opa Nachtschicht hatte, kam er morgens zwischen 6 und 7 Uhr nach Hause. Wir Kinder sind dann raus aus seinem Bett, damit er schlafen konnte. Im Sommer wurde peinlichst darauf geachtet, dass sich ja keine Fliege im Zimmer befand, damit Opa seine Ruhe bekam. Oma ermahnte uns, dass wir leise spielen sollten.“ 329
Wilhelm Kampmeyer war der Großvater von Heinz-Wilhelm Clausen (Sudweyhe). Dieser brachte in den Ferien oft seinem Großvater das Essen im Henkelmann und durfte dann mithelfen, die Kohle in die Schächte des Ofens zu werfen. Heinz-Wilhelm Clausen stellte auch die Fotos dem Archiv in Weyhe zur Verfügung.330
Schon 1925 war Wilhelm Kampmeyer bei Wehrmann. In den Personen-standslisten der Gem. Sudweyhe wird er unter „Sudweyhe 3b“ geführt. Die Familie Kampmeyer wohnte zunächst in Sudweyhe Nr. 3 c (oder e) und später in 3 b (offenbar zur Hofstelle Kowalewski, früher Lange/Heineke, gehörende Nebenwohnung). Kampmeyers wohn-ten dann in den 1950er Jahren in Sudweyhe in einem Gebäude von Wehrmann an der Dorfstraße. 1960 bauen sie sich auf der Sudweyher Geest ein Wohnhaus, auf einem Grundstück, das sie von Familie Wehrmann/Meyer erhalten haben; die Steine für den Hausbau (hart gebrannte 2. Wahl) erhalten sie kostengünstig von der Ziegelei Wehrmann.
In der arbeitsfreien Zeit im Winter stellt Wilhelm Kampmeyer auch Weidenkörbe her, wie das seine Familie im Lippischen von jeher getan hatte – als Nebengewerbe. Um 1973 stirbt Wilhelm Kampmeier und seine Frau Marie folgt ihm im selben Jahr.
Der Ziegelmeister Johann Hermann Wallmeier stammte aus Lage und starb am 10. Juni 1837 in Sudweyhe, als er in der Sudweyher Marsch nach einem Schwindelanfall in einen Graben fiel.331 Leider sind aus dem Jahre 1837 keine Unterlagen über die in Sudweyhe tätigen Ziegler erhalten. 1833 ist der Ziegeleimeister Heinrich Wallmeyer neben dem 14-jährigen Hermann Wallmeyer auf der Sudweyher Ziegelei tätig. Für 1844/45 ist ein Ziegeleimeister Chr. Wallmeier aus Lage auf der Sudweyher Ziegelei (Köster) verzeichnet, und für 1869 noch mal ein Fritz Wallmeyer. Es ist aber sicher anzunehmen, dass auch Johann Hermann dort 1837 beschäftigt war – zumal zu dieser Zeit nur die Sudweyher Ziegelei in der Sudweyher Marsch in Betrieb war.
Verwandte des Ziegeleimeisters H. (wohl Hermann) Rameau (* 27. Juli 1870 in Arsten), zugezogen aus Drakenburg bei Nienburg, der 1921 auf der Ziegelei in Leeste arbeitete,
erscheinen 1901 in den Auswan-derungslisten für Leeste:
Im Sterberegister von Leeste 335 erscheint für das Jahr 1867 der Schumacher Jean Niclas Rameau, der ca. 1797 in Frankreich geboren ist, und aus Barntrup stammt, also aus dem Lippischen. Vermutlich ist er der Vater oder Onkel von Friedrich Daniel Nicolas Rameau. Da die Familie zeitweise in Arsten gewohnt hat, ist es wahrscheinlich, dass der genannte Ziegeleimeister H.(Hermann?) Rameau ein Nachkomme war, vermutlich der Sohn. Hermann könnte aber auch ein direkter Nachkomme des Jean Niclas sein.
Der Ziegler der Leester Ziegelei Heinrich Preul baute 1911 in Leeste „Am Gänsekamp“.
Wilhelm
Rieke wohnte seit 1911 „Im Köhlerbruch“ in Leeste (Nr. 120). Er war schon 1905 als Siebzehnjähriger als Ziegler nach Leeste gekommen und arbeitete bis zum Jahre 1914 auf der Leester
Ziegelei. 336
August Kuhfuß (*12. August 1886, gefallen 25.9.1916 in Combles, Frankreich) 337 kam aus Goldbeck und arbeitete 1903 und 1904 auf der Leester Ziegelei. Er heiratete am 19.12.1909 in Leeste Sophie Wilhelmine Ristedt (*9.11.1895, + 7.10.1959). Die Familie Kuhfuß wohnte in Leeste Nr. 245, jetzt „Westermoor“. 338
Von den „Gastarbeitern“ aus Italien, die ab den 1960er Jahren in Weyhe auf den Ziegeleien arbeiteten, blieb Angelo Cecere in Sudweyhe. Er lernte 1962 Karin Rumsfeld aus Sudweyhe beim Baden an der Weser kennen. Im Jahre 1966 heirateten sie. 1960 war Cecere mit 24 Jahren aus Cisternino (Apulien) nach Deutschland gekommen. Er arbeitete mit 4 anderen Italienern auf der Ziegelei Volckmann (ehemals Oetjen) in Ahausen. Er blieb dort 9 Jahre, bis die Ziegelei schließen musste. Danach arbeitet er bei Hansa-Asphalt in Dreye und schließlich beim Postamt 5 in Bremen. 2012 lebt er mit seiner Frau, Kindern und Enkeln am Heidfeld in der Sudweyher Heide. 343 Ihr Sohn Vito hat sich in Berlin bei der SPD als politischer Kopf einen Namen gemacht.