Paul Athmann
Als Baumwolle noch nicht in großen Mengen importiert wurde, war Flachs oder Leinen (neben wenigen Ausnahmen) die einzige pflanzliche Faser, die zu Textilien verarbeitet wurde. Bis Ende des 18.
Jahrhunderts waren 18 % der verarbeiteten Fasern aus Flachs und 78 % aus tierischer Wolle. 1
An den Stillgewässern der Weyher Vorgeest und der Marsch, insbesondere an den Schlatts und den alten Weserarmen, wuchs im 19.Jahrhundert reichlich Flachs, der aber auch auf den Feldern angebaut
wurde. Er diente als Ausgangsstoff für die Leinenproduktion.
“Im Amt Syke fand der Anbau von Flachs (ein anderes Wort für Leinen) besonders in den beiden Marschkirchspielen Riede und Weyhe statt, wo er im Gegensatz zur Geest ‚reichlich‘ betrieben wurde“
2
Zur Flachsverarbeitung brauchte man flache Gewässer für die sog. „Rottung“, d.h. die Lagerung im Wasser, um die Pflanzen mürbe zu machen.. So berichtet Adele Klatte vom Arster Klattenhof, dass
der Flachs auch in den Flüssen wie der Ochtum zum Rotten abgelegt wurde. 3
1845 wird im Rahmen der „Spezial-Theilung“ von Gemeinheiten der Uferraum am „Weyher See“ beschrieben: „Als Uferraum am See […] ist die von der Theilung
ausgeschlossene Breite am See heraus, zugleich mit der An- und Abfahrt zum Flachsrotten, bestimmet, und an den See ganz herunter, in ungleicher Breite verlängert worden. [...] Außerdem ist auch
noch in der Gegend am See, wo nach der Beschreibung de dato Weyhe den 2. August 1752 der Dorfschaft Sudweyhe die Gelegenheit zum Flachsröthen im See angewiesen, zum An- und Abfahren des Flaches
noch ein besonderer Raum ausgesetzt worden = 2 Morgen 112 Q.-R.“ 4
1880 verpachtet die Gemeinde Sudweyhe das Fischereirecht im Kirchweyher See, behält sich aber das Recht zur Flachsrotte vor. 5 Mit „Rotte“ oder auch „Röthen“
war der Prozess der Lagerung und Aufweichung im Wasser bezeichnet, bei dem die Flachsfaser vom umliegenden Gewebe gelöst wurde. 6 Der Flachs wurde nicht
gemäht, sondern mit den Wurzeln ausgerissen. Im Plattdeutschen sprach man auch von „Flassluken“.
Auf der „Flachsreepe“, einem Balken mit spitzen Zinken, wurden die Flachsstengel von Samenknoten befreit. Dabei wurde der Flachs durch den sog. „Riffelbalken“ gezogen, um die Samenkapseln zu
entfernen. Diese wurden nach dem Trocknen und Dreschen zur Saat verwendet oder zum Pressen von Leinöl.
Neben der „Leinsaat“ wurde aus dem Flachsbast nach mehreren Verarbeitungsschritten die Flachsfaser gewonnen. In den speziell zu diesem Zweck ausgehobenen „Rotte-Kuhlen“ und „Rötheteichen“ oder
flachen Gewässern wurden die Flachsstengel ca. 3 Wochen lang mürbe gemacht, damit man die Flachsfaser von den Stengeln lösen konnte. Nach der Lagerung im Wasser wurden sie auf den Feldern oder in
der Heide zum Trocknen und Bleichen ausgelegt. Man sprach dabei auch von „Tauröste“, da das Wechselspiel von Tau und Sonne den Flachs endgültig mürbe machte. Der Arster Klattenhof brachte die
Flachsbündel auch zur nahgelegenen Dreyer Ziegelei, wo sie im Ofen getrocknet wurden. 7
Dass die Trocknung in früheren Zeiten auch – trotz Verbots - im hauseigenen befeuerten Ofen durchgeführt wurde, zeigt eine Verordnung von 1803: „Ferner ist verboten, Flachs oder Hanf in Back- oder anderen Oefen zu trocknen, oder bey Feuer und Licht, wenn gleich solches in einer Leuchte verschlossen ist, zu bearbeiten,
und sollen sowohl diejenigen, welche solches gethan haben und überführt werden, als auch diejenigen, die solches nicht verhindert haben, wenn kein Schaden dadurch geschehen, mit Gefängnis
bestraft und dem Denuncianten 18 mgr. zu bezahlen angehalten, wenn aber ein wirkliches Feuer dadurch entstanden, mit Karreschieben oder Zuchthaus bestraft werden.“ 8
Nach der Trocknung wurden die gebündelten Flachsstengel auf die Diele gebracht, wo sie mit der „FlachsTreide“ geschmeidig geschlagen wurden. Dieses sogenannte „Boken“ konnte auch in einer
Walkmühle bewerkstelligt werden. Hier trieb das Mühlrad die sogenannten „Boke-Stempel“ an, die kräftig auf die untergeschobenen Flachsbündel stampften. Die Sudweyher Mühle hatte nach 1698 einen
speziellen Walkgang, der zum Flachs-Boken verwendet werden konnte.
Dass der Flachs um die Jahrhundertwende auch von Kaufleuten gehandelt wurde, zeigt eine Anzeige von 1898 des Leester Kaufhauses C.H.Dunkhase. 9
Die weichgeklopfte Flachsfaser wurde zu Garn gesponnen, das auf Spulen aufgerollt war. Die voll gesponnen Spinnspulen wurden dann auf einen „Haspel“ abgehaspelt. 10 Man musste beim Spinnen das Rad in Bewegung halten und immer die richtige Menge Flachs zuführen, um einen gleichmäßigen Faden zu erhalten. Anschließend wurde
durch das „Haspeln“ das Garn von den Spinnspulen abgewickelt und in Stränge von bestimmter Länge gebracht. Eine Haspelumdrehung wurde mit „Faden“ bezeichnet. 50 Fäden waren ein „Bind“ oder
„Bund“. Ein „Bind“ Garn war 377 Meter lang. 12 Binde ergaben ein Stück, das in dieser Menge abgenommen wurde. 11
Das Spinnen war Aufgabe der Frauen und der alten Männer: Nachdem der Flachs „aufgewockt“ worden war, setzte man den „Wocken“ auf das Spinnrad.
Da man zum Spinnen nur ein Spinnrad, Haspel und den Flachs benötigte, konnten auch Häusler und Anbauer sich mit diesem Gewerbe einen Nebenverdienst erarbeiten. Der Klattenhof in Arsten holte sich
z.B. „Oma Pollei aus Weyhe“ zum Spinnen des Leinenfadens. 12
Die Anbauer brachten im Frühjahr den Flachs in die Erde und gingen dann meist nach Holland. Im Herbst kamen sie zurück, ernteten den Flachs, der im Winter zu Garn gesponnen wurde. Das Garn war dann Ausgangsstoff für das Leinen, das am Webstuhl hergestellt wurde.
Im Jahre 1850 führte der Hannoversche Gewerbeverein ein „Test-Spinnen“ durch, bei dem ein neuartiges Spinnrad mit einer Doppelspule getestet wurde, wie es seit einiger Zeit im Amt Syke, insbesondere im Raum Brinkum, zum Einsatz kam. Da die Spinnerinnen in den umliegenden Orten von Brinkum schon mit den doppelspuligen Rädern zu arbeiten gewohnt waren, fand der Vergleich mit den alten „ Musterrädern“ in Brinkum, Erichshof, Leeste, Lahausen, Sudweyhe und Kirchweyhe statt. Das Ergebnis sprach klar für das doppelspulige Rad („eigenes Rad“). 13
Der „Gewerbeverein für das Königreich Hannover“ prämierte alljährlich die besten Flachs-Spinnerinnen, die von den Leggen gemeldet wurden.
So wurden in den Jahren 1843 bis 1845 folgende Personen aus den Orten Erichshof, Leeste, Ahausen, Jeebel, Sudweyhe und Kirchweyhe „ehrenvoll erwähnt“ oder als Prämienempfänger genannt:
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Spinnrad der Sophie Blohm, Dreye (1894) [Foto: Susanne Bode
Und für 1840:
Das Flachsgarn wurde nach Lichtmeß zu „Linnen“ verarbeitet, d.h. zu Tuchbahnen gewebt. Das frisch gewebte Leinen wurde zum Bleichen in der Sonne ausgelegt. „Das fertige Leinenstück wurde in der Sonne gebleicht, am Abend aufgezogen und in einen Wasserkübel gelegt, um am nächsten Morgen wieder auf der Bleiche ausgezogen zu werden. Sonnenschein und Regen mußten beim Bleichen abwechselnd helfen. Blieb der Regen aus, wurde mit der Gießkanne nachgeholfen.“ 16
Hier spielten also erneut die Gewässer eine große Rolle im Produktionsprozess: Da viel Wasser benötigt wurde, fand die Bleiche oft in der Nähe der natürlichen Gewässer statt. Das Weiße Moor in Leeste soll Erzählungen zufolge sogar seinen Namen von den ausgelegten weißen Leinentüchern bekommen haben.
1 Vgl. wikipedia, Artikel „Flachsfaser“ zitiert aus: Ute von Reitzenstein: Flachs im 20. Jahrhundert unter ökologischer und ökonomischer Sicht.
2 Hartmut Müller, Fahrenhorst, 2012, S. 76; mit Verweis auf HStAH Hann 74 Nr. 725: „Des Koniglichen und Kurfürstlichen Amtes Syke Staatsverfassung“, 1775
3 Vgl. (Arbeitskreis Arster Geschichte, 1991) S.55
4 Archiv Gemeinde Weyhe: Recess über die Specialtheilung der Gemeinheiten vor Sudweyhe, 1845-1850, S. 13; vgl. KHB Diepholz(Hrsg): Flurnamen in den ehemaligen Grafschaften Hoya und Diepholz, 2015, Datensatz 297 (Weyher See)
5 (Esdohr, 1970)
6 Vgl. A. Hoppe, NHB, Abschlussbericht : Die Europäische Wasserrahmerichtlinie und historische Wasserbauten, S.15
7 Vgl. (Arbeitskreis Arster Geschichte, 1991) S.55
8 Auzug aus den gemeinen Rechten und Landesverordnungen für den Landmann des Churfürstentums Braunschweig- Lüneburg, Zellingschen Teiles, und der Grafschaft Hoya; 1803 – aus: (Esdohr, 1970)
9 Syker Zeitung v. 24.2.1898
10 (Peters, 1947) S.128
11 Vgl. dazu M.Holst, Der Dammer Raum als Zentrum der Leineweberei im 19. Jahrhundert. Die Dammer Legge - in: Jahrbuch für das Oldenburger Münsterland, Bd. 47, 1998. S.28: Dort ist ein Stück mit 20 Binden definiert.
12 Vgl. (Arbeitskreis Arster Geschichte, 1991) S.55
13 Mittheilungen des Gewerbevereins für das Königreich Hannover, Teile 56-63, Helwing, 1851
14 Mittheilungen des Gewerbevereins für das Königreich Hannover, Teile 28-34, Helwing 1843, Teile 35-43, Helwing, 1845, und Teile 44-55, Helwing 1846
15 Mittheilungen des Gewerbevereins für das Königreich Hannover, Teile 21-27, Helwing, 1841, Anlage C.
16 (Peters, 1947) S.130
17 Hof- und Staatshandbuch Kgr. Hannover 1841
18 Mittheilungen des Gewerbevereins für Hannover, 1860, S. 96
19 Vgl. (Meyer, Weyhe im Wandel der Zeit, 1980) S.173 mit Foto bei Meyer-Lankenau
20 Vgl. (Meyer, Weyhe im Wandel der Zeit, 1980) S.185 mit Foto auf dem Lahrs Hof
21 Vgl.auch (Meyer, Weyhe im Wandel der Zeit, 1980) S.185