Geschichtsgruppe Weyhe Karl Hahn/Paul Athmann/Heinz Tödtmann
Lage: Leester Str 65 (Alte Nr. Lee 35 dann Lee 178) , Leester Krug
1829 kauft der Viertelmeier Casten Harms die Stelle Leeste 35
1872 erbt der Sohn Johann Harms
1881 kauft der Anbauer und Gastwirt Johann Busch, die Hausnummer Leeste Nr. 35 wird zu Leeste Nr. 178
1907 erbt der Sohn Anbauer und Gastwirt Heinrich Busch
1934 kauft der Gastwirt Otto Amelung
Um 1959 übernimmt die Witwe Mathilde Amelung (genannt Tilla) das Gasthaus. Es heißt jetzt „Leester Krug“.
Um 1974 hat Mathildes Sohn Ottokar Amelung die Gaststätte. Er erweitert und baut Hotelzimmer sowie einen Saal für Veranstaltungen und Tanz, außerdem eine neue Küche für den Restaurantbetrieb.
1998 wird die Gaststätte geschlossen.
Ende 2016 kaufte die Gemeinde das Gebäude. Sie wird es abreißen, da dort im Rahmen einer neuen Ortsplanung eine neue Bebauung mit einer Freifläche geplant ist. Der Abriss wird aber 2020 noch ins
nächste Jahr verschoben.
Die Geschichte im Einzelnen:
Seit 1829 hat Casten Harms die Stelle Leeste Nr. 35. Er ist Vorsteher und Bierbrauer. Ob er auch schon eine Gatstätte betreibt, ist nicht überliefert. Das Haus auf der Stelle soll 1860 gebaut
worden sein, und schon 1870 abgebrannt sein. 1861 ist noch Casten Harms in die Einwohnerliste eingetragen, und 1872 soll sein Sohn Johann die Stelle geerbt haben.
Nach den Häuserlisten ist 1881 Johann Busch als Gastwirt auf der Stelle. Er soll sie von Harms gekauft haben. Er wird dann auch das Gasthaus gebaut haben. 1874 wird (Johann) Heinrich Busch geboren, der 1907 als Gastwirt erscheint, währen Johann Busch als Anbauer bezeichnet wird
Im Jahre 1888 wird beschlossen, dass die Versammlungen der Feuerwehr der Reihenfolge nach bei den Mitgliedern:
stattfinden sollen. Heinrich Busch ist ab 1920 Nachfolger von Dietrich Drücker als Hauptmann der Feuerwehr. 1928 wird er wieder abgewählt. Heinrich Busch ist bis zu seinem Tode auch Kreisbrandmeister.
Der Schlachter Kleinschmidt bekommt 1891 eine Konzession für eine Schlachterei in Nr. 35 (Gaststätte Busch); 1891 ist er dann in Leeste Nr. 8 (heutiges Reformhaus) und 1899 zieht er in den Neubau an der Alten Poststraße.
Es ist anzunehmen, dass die Turner auch aauf dem Saal von Busch ihre Übungen veranstalteten.
Theater gehörte in Leeste zum Kulturprogramm.
Heinrich Busch vertrat auch die „Allgemeine Deutsche Hagelversicherung zu Weimar“.
Bei Busch wurden Viehverkäufe getätigt, Feste gefeiert und
Versammlungen abgehalten.
Der Gemeindeausschuss traf sich ebenso bei Busch wie verschiedene Vereine. Der Kriegerverein hatte sich umgenannt in „Verein ehemaliger Soldaten und Kriegsteilnehmer“, „ganz den neuzeitlichen Verhältnissen entsprechend“.
1920 wird bei Busch auch das Schützenfest gefeiert. Das Vereinslokal der Schützen war vorher aber das Schmidt’sche Gasthaus ein paar Schritte weiter zum Bahnhof gewesen. Das wurde aber 1913 verkauft und der Käufer hatte keine Ausschankgenehmigung bekommen.
1922: Bei Busch feiert der Wirt mit seiner Frau Elise geb. Böttcher auch die eigene Silberhochzeit.
Otto Amelung kaufte 1933 oder 1934 das Lokal.
Während des Zweiten Weltkrieges halten sich deutsche Soldaten im Ort Leeste auf. Sie sind oft im Lokal. "Dünnbier haben sie dann meist getrunken", sagte der Ottokar Amelung in einem Interview im
Jahr 2013. 3
Foto 1955: Leester Krug - Inhaber: Otto Amelung 4
Ottokar Amelung, der letzte Wirt:
1955 stirbt Ottokars Vater Otto, und der Sohn übernimmt die Gaststätte an der Leester Straße. Zu der Zeit habe man, wie früher üblich, auch noch Landwirtschaft betrieben, so der Wirt im Ruhestand. Das wurde dann nach und nach aufgegeben. Das Hauptaugenmerk lag nun auf der Gastwirtschaft. Zusammen mit seiner Frau, die er 1960 heiratete, und seiner Mutter bewirtete er die Gäste von früh bis spät. "Das war anstrengende Arbeit", sagte er. "Der Beruf Wirt ist der härteste, den es gibt. Danach kommt Taxifahren", behauptete der Leester, der aber viele schöne Erinnerungen an seine Zeit als Wirt hat.
"Wir hatten hier fast nur Stammgäste, die jeden Tag da waren, Bekannte und Freunde. Das fehlt mir sehr, sie jetzt nicht mehr täglich um mich zu haben, aber irgendwann muss einfach Schluss sein. So ist das, wenn es gesundheitlich einfach nicht mehr geht", sagte er. Vor allem in den 1960er und Anfang der 1970er-Jahre sei immer etwas los gewesen im Lokal, erinnerte sich Ottokar Amelung. Das Geschäft brummte. "Wir haben sieben Tage in der Woche gearbeitet. Hier waren immer Gäste, das war eine schöne, aber auch arbeitsintensive Zeit", sagte der frühere Wirt. Dies sei auch die Zeit gewesen, in der viele Bands den Weg in die Gaststätte fanden. Tanz und Musik stand dann auf dem Programm. So war unter anderem die Weyher Band "Die Kolibris" Stammgast in dem Lokal. "Und dann war immer viel Betrieb hier auf der Tanzdiele", erinnerte sich der Leester. Das Publikum sei sehr gemischt gewesen. "Es war in dieser Zeit aber vor allem ein beliebter Anlaufpunkt für junge Menschen", sagte der 83-Jährige.
Vor den „Kolibris“ spielten „Die vier Rockys“ in dem Lokal. Sie wechselten nach Melchiorshausen zu Schumacher.
Ein Akteur der damaligen Zeit, Heinz Tödtmann, erinnert sich:
Die fetten Jahre waren die 1960er. Hier fand eine Tanzveranstaltung nach der anderen statt, vornehmlich die Kolibris, die zeitweise im 14 Tage Rhythmus auftraten, erfreuten sich großer Beliebtheit. Tanzveranstaltungen mit den Kolibris waren ein Straßenfeger, die Gäste kamen aus Weyhe aber auch aus Bremen und Delmenhorst. Es war die Zeit, als die Beatles ihren Höhenflug antraten. Und es ist bezeichnend, dass der Wirt ein überaus gutes Verhältnis zu den Kolibris hatte, sie durfte nur keine Beatles-Titel spielen. Besonders der Titel "She loves you yeah yeah" war für ihn unerträglich. Die Kolibris spielten ihn dennoch.
Es war auch die Zeit, in der es auf dem Saal Sinalco mit Eierlikör, Asbach mit Cola und Bier, in der Bar Ratzeputz, Bommi mit Pflaume, Puschkin mit Kirsche, Escorial grün, Lufthansa Cocktail und natürlich Sekt gab. Und auf dem Saal wurde immer wieder das Blaulicht eingeschaltet und die Nyltest-Hemden der jungen Männer strahlten um die Wette. Gegen Mitternacht gab es regelmäßig eine kleine Pause, und diejenigen, die das erlebt haben, schwören noch heute auf die Hühnersuppe, die die Mutter des Wirts den Gästen servierte: Legendär!
Weil der Saal bei den Veranstaltungen "brechend voll" war, gab es natürlich ein Problem, wenn der Schützenverein sein Schützenfest feiern wollte und befürchtet werden musste, dass viele Gäste ausblieben. Im Jahr 1962 bat der Schützenverein den Wirt, am Tage des Schützenfestes auf eine geplante Tanzveranstaltung zu verzichten. Ottokar Amelung aber wollte sich die Einnahmen nicht entgehen lassen. Es kam wie befürchtet. Ottokar Amelung hatte ein volles Haus, beim Schützenfest gähnende Leere.
Da tauchte plötzlich kurz vor Mitternacht die Polizei bei Amelung auf, um mit dem Hinweis auf die Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes das Alter der dort Anwesenden festzustellen. Ein Mitglied der Kolibris war zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre alt. Auf ihn hatte man es abgesehen, er "durfte" unverzüglich den Heimweg antreten. Mithilfe der Eltern und des Jugendamts wurde für die nachfolgenden Veranstaltungen eine Sonderregelung getroffen.
In diesem Zusammenhang sei aber noch erwähnt, dass diese von außen gelenkte Polizeimaßnahme auch den Gästen nicht verborgen blieb, und so versammelten sich alle, die sich einer Alterskontrolle entziehen wollten, in der Damentoilette, die, weil sie neben jungen Mädchen natürlich eine Unzahl von jungen Männern aufnehmen musste, zum Bersten gefüllt war.
Natürlich waren sich Ottokar Amelung und der Schützenverein aufgrund des Vorfalls nicht mehr "grün". Es herrschte Krieg. Aber als sich die Gemüter dann im Laufe der Zeit beruhigt hatten, kam man auf die Idee, dass die Kolibris beim nächsten Schützenfest neben der Blaskapelle spielen sollten. Somit war - wie man heute sagen würde - eine win-win Situation entstanden. Es war für die damaligen Verhältnisse ein Novum, aber es hat funktioniert.
v.l.n.r.: Walter Schofeld, Werner Schierenbeck, Rolf Timmermann, Heinz Tödtmann und Helmut Dettmer.
In den 1980er-Jahren wurde aus der Gaststätte Amelung zusätzlich noch ein Hotel. "Da wurde es richtig international. Iren, Portugiesen, Niederländer, Engländer. Wir waren Anlaufpunkt für viele Nationen. Das ist aber ja eigentlich in jedem Hotel so", betonte der ehemalige Wirt. Gebaut wurde das Haus laut Ottokar Amelung vor etwa 150 Jahren, genau wisse er das aber nicht. "Mir ist aber bekannt, dass das Gebäude 1870 teilweise abgebrannt ist. Zu der Zeit hatte man noch Strohdachhäuser. Wenn es dann brennt, schlägt das Feuer natürlich schnell über", so der Leester. Aber das alles liegt in der Vergangenheit. Heute ist Ottokar Amelung fast gar nicht mehr in der Gaststätte – nur noch selten wirft er einen Blick in die alten Räume. Der Zapfhahn funktioniere zwar noch, benutzt wird er aber nicht mehr, sagte er. Ob er sich vorstellen könne, noch einmal hinter der Theke zu stehen und Gäste zu bedienen? "Nein. Dieser Lebensabschnitt ist endgültig vorbei." 6
Ottokar Amelung 2013
Die Gaststätte 1988 7
1998 wird der Betrieb der Gaststätte
eingestellt. 8
Im Jahre 2006 wird das Gasthaus auch im
Film „Wohlstand für alle“ von Wolfgang
Worthmann gezeigt.9
… 2014
… 2015
… 2020 10
Ende 2016 kauft die Gemeinde Weyhe das Gasthaus. Es befindet sich im Gebiet der Ortskernsanierung Leeste. Im Mai 2017 stellt die Gemeinde im Amelung’schen Gasthaus die Pläne für die Sanierung vor – am sogenannten Tag des Städtebaus. Im Saal werden die Pläne präsentiert, und Bürgermeister Bovenschulte hält eine Ansprache. Für das Wohl der Gäste ist gesorgt, wobei die Gaststube ein letztes Mal verwendet wird: Sie wird zum Städtebau-Cafe umfunktioniert.
Die Leester konnten sich über geplante Änderungen in Leestes Ortskern informieren – bei Kaffee und Kuchen.
Bürgermeister Boven-schulte stimmt die Leester auf kommende Veränderungen ihres Ortsbildes ein.
Im September 2017 findet das Weyher „Streetart-Festival“ in Leeste bei Amelung statt. Die Gaststätte ist zur Bemalung freigegeben, und Straßenkünstler sind eingeladen, auf den Innen- und Außenwänden ihre Werke zu verwirklichen. Es kommen dabei beeindruckende Bilder heraus, die das Ortsbild von Leeste in hervorragender Weise auflockern.
Anmerkungen
1 Ausschnitte aus Syker Zeitung, reproduziert von K.Hahn, H.Riehn., S.Rathjen
2 Repro: W.Meyer
3 Ottokar Amelung im Interview mit dem Weser-Kuruer (Udo Meissner) 15.7.2013
4 Repro W.Meyer Bildkalender 2017
5 Foto: H.Tödtmann fb wf
6 Weserkurier v. 15.7.2013 – Udo Meissner
7 Fotos von 1988 und 2015: W.Meyer
8 Weserkurier v. 15.7.2013 – Udo Meissner
9 (Worthmann, 2006)
10 Fotos von 2014 und 2020: K.Hahn, Leeste
11 Erstellt aus Auswertungen der amtlichen Häuserlisten und Kirchenbücher durch Karl Hahn und Jobst Boyer.